Monday, October 20, 2008

Kirchhorst, 9. April 1939


In den Feldern, auf deren Fläche hin und wieder ein dunkles Wäldchen steht. An den Wegen sind die Birken noch unbelaubt. Längs der Gräben blühende Kätzchen, von Bienen und gelben Fliegen bestäubt. Grosse Klumpen von Froschlaich, die in die Wasserkräuter wie Sagopudding eingebettet sind, mit schon stark entwickeltem schwarzem Kern. Überall auch, aus der Tiefe läutend, der gläserne Unkenruf. Der Frühling hat auch eine amphibische Seite, einen kühlen und zärtlichen Zauber, mit Liebesspielen im tauenden Eis.

Gerade bei den Fröschen, etwa wenn sie im Wasser auf den gestreckten Hinterbeinen zu stehen scheinen, berührte mich von je das Menschennähnliche, das doch bei sehr viel höher ausgeformten Zweigen der Wirbeltiere wieder eingeschmolzen wird. Das mutet wie ein erster Vorstoss der Natur zum Menschenwesen an, der sich dann immer zwingender erneuert. Damit hängt es wohl auch zusammen, dass der Frosch, ganz ähnlich wie der Affe, von uns als komisch angesprochen wird. Auch bei der Begattung ergreifft das Männchen das Weibchen mit den Armen nach Menschenart.

Entsprechend weist der Mensch Amphibienzüge auf. Ich empfinde das besonders, wenn er bei stark zurückgeneigtem Kopfe die Kinn- und Kehlpartie den Blicken darbietet. So bleiben immer stellen, an denen die Natur die tierischen Gewänder für uns flüchtig zugeschnitten hat.

Ich entsinne mich, dass ich als Kind beim Anblick der Frösche grosse Lust empfand. Eines Mittags, aus der Vorschule kommend, sah ich grosse, grün und schwarz gescheckte Wasserfrösche hinter den Scheiben eines Aquariumgeschäftes ausgestellt. Dass man so herrliche Geschöpfe kaufen konnte, erstaunte mich, und ich ging hinein, etwas verlegen, doch zugleich mit straker Gier, solch einen Burschen zu erstehen. Leider kam dann der Grossvater und zog mich hinaus. Damals muss ich etwas von dem Gefühl gekostet haben, das darin lag, einen Sklaven zu bestizen - ich meine, von dem ganz alten, vorrömischen, ja voralexandrischen Genuss. "Deiser Mensch gehört mir, er ist mein Eigentum, mein vollkommener und sicherer Besitz; ich spiele so gern mit ihm." Ich möchte meinen, dass sich darin eine der tiefsten Beziehungen verbrigt, die möglich sind. Aber auch auf der anderen Seite: "Ich bin dein Sklave" - kann man sich das nicht in einem Tone gesprochen vorstellen, den noch keiner unserer Historiker getroffen hat? Dergelichen gehört zur Kindheit unseres Geschlechts, in unser dunkel-prächtiges Märchenland, wie Herodot es noch mit eigenen Augen sah. Das gibt seinen Büchern den unvergleichlichen Rang.

Indem ich diese Erinnerungen überlese, bemerke ich, dass mir oben im dritten Satz das "blühende Kätzchen" missfällt. Ohne Zweifel zu Recht, da sich ein Pleonasmus darin verbirgt, der zur Warnung belassen sei. Löblich dagegen die Art, in der er sichtbar wurde - durch ein ästherisches Missbehagen a priori, das sich sodann auch logisch zu rechtfertigen vermag.


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