Friday, October 17, 2008

Kirchhorst, 5. April 1939

"Schlangenkönigin". Was ich heute über die Mauretanier aufzeichnete, befriedigt nicht; dieser Orden lebt in meiner Vorstellung deutlicher als in der Niederschrift. Es ist zu schildern, wie im Niedergange, wo sich viel dumpfe Materie häuft, der Rationalismus das entscheidenste Prinzip vertritt. Sodann: wenn sich um eine Doktrin von amoralischer Technizität Zirkel bilden, werden sich ihnen dank ihrer Bösartigkeit autochtone Kräfte zugesellen, um mit neuem Vorspann die alte Macht wieder zu verwirklichen, nach der die Sehnsucht ja immer auf dem Grunde ihrer Herzen lebt. Auf diese Weise leuchtet in Russland das alte Zarenreich hindurch. So auch der Oberförster; in solchen Figuren findet der Nihilismus seinen Herrn. Übrigens erscheint im Verhältnis von Pjotr Stepanowitsch zu Stawrogin die Lage umgekehrt: der Techniker versucht, sich mit dem Autochtonen zu verbünden, im Gefühl seines Mangels an legitimer Kraft.

Obwohl man sich bei der Schilderung solcher Pläne am besten ganz auf die produktive Phantasie verlässt, kann es nichts schaden, wenn man sie durchkonstruiert. Zu vermeiden ist jedoch, dass die Erzählung rein allegorischen Charakter gewinnt. Sie muss, ganz ohne zeitliche Beziehung, aus Eigenem leben können, und es ist sogar gut, wenn dunkle Stellen bleiben, die sich der Autor selbst nicht zu erklären vermag. Gerade solche sind, wie ich erfuhr, oft Keime späterer Fruchtbarkeit. So war mir der Charakter des Oberförsters, als ich in einer stürmischen Harznacht von ihm träumte, noch dunkel; dennoch sehe ich heute, dass die Züge, die ich damals notierte, im erweiterten Rahmen sinnvoll sind.

Nachmittags im Moor. Ganz nah, aus einem schmalen Graben, flatterte ein Entenpäärchen auf und schlug einen Kreis um mich. Der Erpel im Hochtzeitsstaat, mit der Locke im Bürzel, die ihm etwas vom verwegenen Burschen gibt, und dem seidig metallgrün schillernden Hals. Sehr schön die Stellen, an denen diese Farbe in ein üppiges und ganz weiches Schwarz hinüberspielt; dieses Schwarz ist ein Grün höchster Potenz. Ich stelle es mir als ein Tintenpulver vor, das in der Lösung grosse Mengen einer herrlich grünen Tinktur ergibt.

Dann im Garten. Erbsen, Salat, Mangold, Zwiebeln, Möhren gesät. Wie die Erbsen in matt graugrünen Reihen aus den dunklen Rillen schimmerten. Als ich bei diesem Anblick dachte, dass ich sie gleich mit Erde bedecken würde, leuchtete mir ein, wie seltsam, ja fast zauberisch die Arbeit an den Beeten ist.

Wenn man im Boden wühlt, teilt die Erde den Händen eine Veränderung mit; sie macht sie trockener, ausgezehrter und, wie ich meine, geistiger. Die Hand erfährt im Boden eine Reinigung. Die Finger im mürben, lockeren Grunde zu bewegen, den die Sonne und auch die Gärung wärmten - das ist ein sehr angenehmes Gefühl.

Unter der Post ein Brief von Elisabeth Brock aus Zürich, die mir schreibt, dass sie zu dem Thema "Description exacte d'un objet" von einer ihrer Schülerinnen die Schilderung eines gesottenen Hummers bekommen habe, über die ich entzückt sein würde. Ich muss freilich zugeben, dass schon der Gedanke mir gelungen erscheint; es handelt sich um ein Prunk- und Paradestück.

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