Tuesday, January 20, 2009

Friedrichstal, 14. Mai 1940


Marschbefehl für heut abend, mit unbekanntem Ziel. Vorgestern hielt ich, gerade noch zur Zeit, ein Kompaniefest ab, zu dem wir unsere Quartierwirte einluden. Es gab Spargel aus Graben, Kaffee, Wein, Kuchen, dann Kabarett, zu dem auch eine Tanzschule aus Karlsruhe erschienen war. Gegen Morgen, nachdem ich in meiner Eigenschaft als Ortskommandant einige Male die Polizeistunde verlängert hatte, ging es im Saal und auf den Gängen recht munter zu - das um so mehr, als ich als alter Stosstruppenführer doch schlecht den Tugendwächter spielen kann.

Ich hatte dabei den Eindruck, dass der Geist der kleinen Einheit gewonnen hat. Die Männer sind in der Mehrzahl Magdeburger und als solche für mein Gefühl den Sachsen schon fast näher als den Niedersachsen verwandt. Sie sind lebhafter, geselliger, geschickt an den Machinenwaffen und an grobe Arbeit gewöhnt. Ein Zuruf, den ich öfters schweren oder unangenehmen Dingen gegenüber von ihnen hörte, gefiel mir so, dass ich ihn als Erkennungs- und Schlachtruf für uns einführte - und zwar "Ran wecke!", was eigentlich "Ran welche!" bedeutet, nämlich Hände, wo es zu schaffen gilt. So rufen die Vormänner auf den Magdeburger Rübenfeldern, wenn die Arbeit brennt.

Zur blossen Ausbildung muss noch ein anderes hinzutreten, ehe eine Truppe gut wird, nämlich das Verhältnis von Mann zu Mann, das den Zusammenhalt in den Atomen schafft. Dazu bedarf es immer einiger Zeit; man muss erst einen gewissen Lebensstoff miteinander abgesponnen haben, einen gemeinsamen Vorrat an kleinen Leiden und Freuden ansammeln. Man muss Geschichte ansetzten.

Abschied vom Hardtgrund, bei Spechts- und Kuckucksruf und in Begleitung einer badischen Nachtigall, zierlich und stimmbegabt wie Jenny Lind. Das tiefe, moosige Tannicht zwischen dem Hirschgraben und Linkenheim. Das feine, tockene der Kieferzapfen, aus denen der Sonnenglast die Samen sprengt. Dann im Unterholz versteckte Immenstand, der zur Befruchtung der Königin dient.

(Bild: Jenny Lind, schwedische Opernsängerin, Sopran)

Tuesday, January 6, 2009

Friedrichstal, 10. Mai 1940


In der Nacht Träume von Geschwadern, die über das Haus hinwegzogen. Am Morgen, auf dem Schiesstand, erfuhr ich dann, dass es wirklich in der Luft so rege gewesen war. Es handelte sich um die Transporte nach Holland und Belgien. Damit tritt wohl der Krieg in seine Krisis ein, ohne dass sich indessen seine Dauer schon schätzen lässt.

Am Nachmittag ritten wir mit dem Oberst lange durch die schönen Wälder und machten abends in Graben zum Spargelessen Rast. Während des Rittes kamen verschiedentlich Offiziere und Ordonnanzen auf Motorrädern mit Meldeungen - durch eine von ihnen wurde der Urlaub gesperrt. Wir ind jetzt auf Abruf gestellt.

Nur ungern scheiden wir von Friedrichstal, mit dessen Bewohnern wir uns recht befreundeten. Ihre Herkunft führt sich auf Hugenotten von Wallonenblut zurück, mit Namen wie Lacroix, Borel, Gorenflo - entstanden aus coeur-enfleurs. Sie brachten um 1720 die Kenntnis des Tabakanbaues mit und beliefern heute ganz Baden mit jungen Pflanzen, deren Beete man überall im Ort unter Rahmen von Ölpapier erblickt. So ziehen sie aus ihrer Erde zehnfachen Gewinn. Freilich erfordert dieser Anbau auch viel Sorgfalt und Mühe, und wie ein Sprichwort dieser Gegend sagt, kommen die Friedrichstaler nur kniend und einzig mit dem Kopf im Bett zum Schlaf.

Dafür sind sie vermögender, heiterer, stets zum Vergnügen bereit und lassn gern etwas draufgehen.

(Bild: Friedrichstal um 1900)

Friedrichstal, 8. Mai 1940

Regimentsübung, die durch die Länge der Hardt bis nach Teutsch-Neureuth spielte und an der ich mich als Schiedsrichter beteiligte. Der Morgen war frisch und klar; im Walde streiften die Hufe der Pferde durch Inseln blühender Maiglöckchen. Nach kurzem Gefecht um den Waldrand "Das Ganze halt". Seiner Besprechung legte der General den Satz zugrunde, dass die Entscheidung dieses Krieges nur durch den Angriff mit anschliessender Bewegung, und zwar im Westen, zu erwarten sei.

Auch in der Kompanieausbildung streben wir den Angriff gegen weitgestreckte Ziele an; sie soll Mitte des Monats mit einer Besichtigung abschliessen. Ausserdem leite ich an zwei Tagen der Woche den Stosstruppendienst, zu dem jede Kompanie eine ausgesuchte Gruppe stellt. Wir üben entweder an einem kleinen Werk den Einbruch mit scharfer Ladung oder im Walde den umfassenden Angriff auf Bunker und Blockhäuser.

Friedrichstal, 28. April 1940

Im Hardtgrund, in dem sich noch ein Hauch uralter Wäldereinsamkeit erhalten hat. Gewitter, mit Blitz und Sonnenschein, dazu der Wirbel der Spechte nah und fern. Ein Schwarzspecht strich über mich hin, als ich in einem Eichenschlage auf dem Moos lag, und glitt dann spiralig einen alten Stamm hinauf. Das Tier ist doch nicht recht geheuer, zumal in dem Verhältnis des schmalen Halses zum grossen Kopf. Die starren Schwingen strahlen im Flug ein hörnernes Pfeifen aus; der wiehernde Schrei ist klagender als der des Grünspechtes. Der volkstümliche Name "Feuerhenne" ist gut gewählt.

Nach solchen Stunden fällt es mir recht schwer, mich noch in die Geschäfte zu vertiefen; ich gerate ins Träumen, als müsste ich die Augen auf eine andere Entfernung einstellen. Die Einsamkeit der Wälder ist so herrlich, dem Eingang in feierliche Räume gleich.

Auf dem Tische blüht in einer Vase ein Fliegendes Herz - auch eins meiner Teststücke. Ich messe die Freude, die ich an ihm empfinde, und es scheint mir, dass sie noch niemals grösser war. Wie unzulänglich wird doch vor einem solchen Blütenzweige unser gesamtes System. Das sind Erklärungen der Not - wer aber erklärt den Überfluss?

Friedrichstal, 23. April 1940


Erkältung in unangenehmen Stadium, das nicht flüssig werden will. Dazu am Vormittag Sturz vom Pferde, das auf dem Übungsplatz in eine Grube trat, mit dem Kopf voran, glücklicherweise auf weichen Grund. Immerhin spürte ich eine kurze Betäubung, die auch noch anhielt, während die Männer mich abstaubten; ich stand zwischen ihnen wie ein Objekt. Abends mit der Post unangenehme Nachrichten.

Nachmittags im Bruchsaler Schloss mit dem berühmten Treppenhaus, von dem sich leider kein gutes Bild auftreiben liess. Neben den Treppen im Schloss von Meissen, die wie Spindeln in den massiven Stein gebrochen scheinen, sind diese die schönsten, die ich jemals sah. Die Überraschung, die ein solcher Bau hervorruft, wäre noch grösser, wenn man nicht hin und wieder bereits seine Nachbildungen gesehen hätte - doch ist der Eindruck prima vista ein Vergnügen, das den Zeitgenossen vorbehalten bleibt.

Wenn wir fasten, um uns zu kurieren, handeln wir gleich einem Hausherrn, der seinen Koch für eine Zeitlang vom Dienst entbindet, weil er einen ungebetenen Gast hinauswerfen soll. Das Fasten ist grosse Medizin; sie gibt nicht nur Gesundheit, sondern auch Musse und geistige Macht.

(Bild: Treppenhaus Schloss Bruchsal, 1945 zerstört, 1970 rekonstruiert)

Monday, January 5, 2009

Friedrichstal, 20. April 1940


Am Morgen im Wald. Indem ich eine Rindenschuppe vom Stamme einer Rosskastanie abblätterte, erblickte ich darunter einen mir unbekannten Mycetophagus - ein länglich ovales, dunkelbraunes Tier mit violettem Schimmer, zackigen Binden und gesternten Makeln aus goldenem Haar. Das ist doch die reine Schatzgräberei.

Das Studium der Insekten zählt zu den Genüssen, die mit dem Alter zunehmen. Die Kenntnis der Arten, wie man sie in dreissig, vierzig oder auch sechtzig Jahren der Betrachtung erwirbt, gleich einer Pyramide, an deren Spitze jeweils das neue Fundstück steht. Es leuchtet ein, dass mit der Masse der Erfahrungen auch das einzelne an Wert gewinnt.

Man könnte auch an ein Kreuzworträtsel denken, an dem das Vergnügen mit der Zahl der ausgefüllten Felder wächst. Aus diesem Grunde war das Leben von Männern wie Rösel, Dohrn, Fabre, Reitter, Seitz und Ganglbauer sicher sehr angenehm. Nur müssen wir, wenn ein so schönes Ackerfeld des Glückes uns anheimgefallen ist, uns vor den Seitensprüngen hüten, wie sie der junge Botaniker in Hoffmanns "Datura fastuosa" vollführt.

Am Nachmittag im Zimmer gedämmert - ich beobachtete dabei, wie schon des öfteren, dass solch ein geschlossener Raum unter gewissen Voraussetzungen zur camera obscura wird. Man sieht die Menschen, die draussen auf der Strasse gehen, in grosser Schärfe auf der Decke oder an der Wand. Warum wohl in der Betrachtung dieser Schattenbilder ein bösartiger Genuss verborgen liegt?

Am Abend schöner heller Vollmondschein. Wenn bei solcher Beleuchtung sich die Umrisse von Hecken, Zäunen, Lauben und anderen Gebilden auf den Boden abzeichnen, ergreifft uns zuweilen eine Stimmung, in der sich Bezauberung und Furcht vereinigen. Ich fragte mich schon oft, worauf sie beruhen mag, und meine, dass sich in diesem Schattenwerk die Formen zugleich enthüllen und vergeistigen. Sie treten in eine höhere Ordnung ein, in die der Unzerstörbarkeit, die ihrer Linienführung innewohnt. Die Dinge wirken in ihrem mathematischen Signet, stoffloser und mächtiger zugleich. Wir treten in Scheu in diese Schattengitter ein und scheinen, indem wir sie durchschreiten, mit nächtlicher Geisteskraft begabt. Doch halten wir zugleich den Atem an - wenn jetzt ein Zauberspruch erklänge, dann würden wir unwiderstehlich in die Materie gebannt.

Casanova. Die Historiker, die ihm nachrechnen, sind doch sehr langweilig. Die Quellen ersten Ranges springen hier in den Memoiren und nicht in den öffentlichen Registern von Venedig, Paris oder Wien. Den Menschen enthüllt man nicht, indem man ihn der Lüge überführt - er enthüllt sich vielmehr durch die Art und Weise, in der er lügt.

Casanova als Schauspieler. Kind von Schauspieler, Gefährte von Schauspielern. Seine Erscheinung, seine Spitzen, seine Diamanten, seine Dosen, sein Schmuck. Er fragt den Papst, ob er den ihm verliehenen Orden vom Goldenen Sporn mit Diamanten verzieren darf. Als Bernis ihm den Staatsauftrag erteilt hat, führt er ihn nicht als Diplomat, sondern als Schauspieler durch. Bei dem Gastmahl in Köln triumphiert er über den biederen Ketteler, der ihn wahrscheinlich an Substanz überlegen war, als Schauspieler. Ähnliche Züge spielen in das Duell mit Branicki ein, diese unerschöpfliche Quelle seiner Eitelkeit. Dort in Polen, wie überall wo er länger verweilt, mindert sich bald die Meinung, die man von ihm hegt. Er erwähnt das in seinen Aufzeichnungen, ohne dass es in seiner Erinnerung einen nachträglichen Schatten auf seine Triumpfe wirft. Das ist ein schauspielerhafter Zug; es genügt ihm, wenn er für den Abend blendet und glänzt. Dennoch könnte man nicht sagen, dass er den Sinnspruch "Mehr sein als scheinen" in sein Gegenteil verkehrt - und zwar deshalb nicht, weil Sein und Scheinen für ihn in einer besonderen Weise gleichbedeutend sind. Er ist Schauspieler von Geblüt; Bühnenerfolge sind daher für ihn real.

Übrigens - was kann er den ablügen? Etwa, dass er, der grosse Künstler auf diesem Gebiet, doch nur Frauen zweiten Ranges besessen hat? Es bleiben, Henriette eingeschlossen, Schauspielerinnen, Abenteurerinnen und Damen, die schlecht bei Kasse sind. Was Auswahl betrifft, gibt es andere Amatores, wie Byron, an denen man sich ein Beispiel nehmen soll. Merkwürdig, dass der Chevalier über alles, was Manon Baletti anbetrifft, nur dahingleitet. Sie nahm aber doch wohl den grössten Raum in seinem Leben ein - freilich hinter den Kulissen, und davon spricht man nicht.

Wie erklärt sich die Anziehung, die dieser an Fehlern reiche Venezianer auf uns übt? Nach welchem Muster wählt unser Gedächtnis aus der ungeheuren Fülle derer, die jemals leten und sich hervortaten? Warum ist uns ein Vagabund wie Villon noch vertraut, während unzählige Ehrenmänner, die zu seiner Zeit einen Namen besassen, der Vergessenheit anheimgefallen sind? Dem muss das Mass an ungesonderter Lebenskraft zugrunde liegen, die, wie Saft aus den Wurzeln, in die Taten und Werke steigt - eine Kraft, in der wir jenseits aller Verdienste und aller Moral uns selbst erkennen, weil sie unser gemeinsames Erbteil ist.

(Bild: Giacomo Casanova portraitiert von Alessandro Longhi)

Friedrichstal, 16. April 1940

Gestern, am Nachmittag, brach ein Föhnwind in das Rheintal ein, der mich indessen nicht wie sonst bedrückte, sondern belebte und erheiterte. Der Auwald erschien mir in der klaren Luft so königlich - das junge Gras durchsichtig, smaragden leuchtend, und die Pappeln als helle, schlanke Schäfte, in denen Anmut wohnt und deren hoher Wuchs den Menschen, der unter ihnen wandelt, mit Stolz begabt. Die ersten Schwalben spielten in den noch kahlen Kronen, die Enten strichen zu Paaren aus dem Röhricht der stillen Tümpel ab, das Bläshuhn tauchte leise in ihre Tiefe ein.

Um elf Uhr wurden wir abgelöst und marschierten bei hellem Mondschein bis Baaden-Oos, wo wir in einer Kaserne übernachteten. Bei Tagesanbruch fuhren wir mit der Bahn nach Bruchsal und erreichten von dort bei strömenden Regen die auf vier kleine Orte verteilte Unterkunft. Zwei Kompanien, darunter die meine, bezogen Quartier in Friedrichstal, einem der Haupplätze der badischen Tabakkultur. Ich kam im oberen Stockwerk einer kleinen Villa unter, die einem Zigarrenfabrikanten gehört, in einem Zimmer, von dessen Fenstern man einen schönen Ausblick auf die Hardt geniesst.

Wir werden hier einige Wochen in Ruhe liegen und ausbilden.

Friday, January 2, 2009

Auwaldhütte, 14. April 1940


Am frühen Morgen weckten mich die Maschinengewehre vom Panzerwerk „Roter Rhein“ – das neue in der oberen Scharte des Panzerturmes und das überschwere, das unseren rechten Flügel flankiert. Ich rief Erichson an und gab ihm Feuerbefehl. Dann fuhr ich, nachdem ich mich hastig angezogen hatte, mit dem Rade durch den Auwald nach vorn.

Kurz vor dem Stand geriet ich in eine Garbe, die in die Pappelstämme klatschte, und suchte eilig den Verbindungsgraben auf. Spinelli, der bereits an Ort uns Stelle war und mit der Besatzung hinter der Betonwand des Bunkers stand, winkte mich richtig ein. Ich liess zwei schwere Gewehre auf die Scharten richten und teilte Scharfschützen ein. Dann ging ich, um noch einen guten Richtschützen zuzuziehen, zu Erichson, in dessen Kampfraum ich den Krankenträger fand. Er war damit beschäftigt, Erichson zu verbinden, der stark am Halse blutete, auch hatte er drei Schützen, die surch Splitter verletzt waren, mit Jod betupft. Sie waren alle benommen wie Fische, die plötzlich an die Luft gezogen sind.

Ich hörte, dass ein Schartentreffer mit lautem Knall und einem Feuerstrahl im Raum auseinandergeflogen war. Andere Geschosse hatten das Maschinengewehr am Lauf getroffen und das Zielfernrohr gekappt, das auf dem Tische lag. Zum Glück war auch Erichson nur leicht verletzt, so dass ich mich gleich wieder zu jenem Stande begeben konnte, der unser Brennpunkt ist.

Die Garbe strich noch durch den Wald, in dem mir der Verbindungsgraben zustatten kam. Freilich war er noch nicht durchlaufend ausgebaut, so dass es auch Stücke zu überspringen gab. Sehr gut die Kalkulation an Strecken, an denen es so über Deckung geht. Der Geist stellt immer eine scharfe Wahrscheinlichkeitsrechnung an, ehe der Körper springt.

Vor dem Stande hatte Spinelli schon alles aufgebaut. Ich ging noch einmal an das Scherenfernrohr und visierte die Scharte an, aus deren Schlitz ein neues und stärkeres Gewehr als jenes vor unserer letzten Räucherung hervorragte. Nachdem ich den Richtschützen eingeschärft hatte, dass es von ihnen abhänge, ob der Beschuss ernsthaft erwidert würde oder nicht, gab ich das Feuer frei. In diesem Augenblick strichen drüben, wie vor einer Zauberhandlung, zwei Elstern mit leuchtend weissem und erzgrünem Schimmer von den Bäumen über die Kuppel ab.

Dann hämmerten die Gewehre, und die glühenden Garben trafen sich im Schartengrund. Zuweilen griffen die Geschosse höher und schnitten den Pappeln, die im Innenhof des Werkes wachsen, die Zweige ab, oder sie rutschten, und die Einschläge stäubten auf den Beton der Mauer und spritzten in den Rhein. Andere zupften an der Trikolore, die neben dem Turme weht.

Ich sah, wie drüben das Gewehr das Feuer sogleich erwiderte, doch hörte nach einer kurzen Spanne das Stossen der von einem leichten Dampf umspielten Mündung auf. Ich hatte das vorausgesehen, denn das Dauerfeuer hält die Waffe gleich einer Zange fest, da die Bedienung nicht wagt, die währenddessen zurückzuziehen. So schlägt man sie mühelos entzwei.

Nach diesem Zwischenspiel ging ich zum Frühstück und war dann, wie jeden Sonntag, in Iffenzheim bei Dr. Eiermann, zu Hecht und Moselwein. Der Morgen war rein, klar, frisch in den Farben; auch kehrt im Feuer das Bewustsein, das sich doch stets in Teilen ausserhalb befindet, als aufmerksamer Wächter in den Körper zurück. Man fordert in der Krisis die Aussenstände ein.

Am Abend erfuhr ich, dass der pfenniggrosse Splitter, der Erichson getroffen hat, tief eingedrungen ist. Verletzungen am Hals sind immer peinlich, da sich durch diesen Teil die Lebensbahnen wie durch einen Isthmus ziehen.

Bei den Scharmützeln fühlt man sich hinter den Gewehren in der offenen Feuerstellung wohler als in den Bunkern am Feuerstand. Die winzigen Schlitze und Scharten, durch die das Auge des Verteidigers aus den festen Werken auf das Gelände späht, gleichen Magneten, die die Feuermassen des weiten Raumes auf sich ziehen. Auf diese Weise gerät die Mannschaft, wie in den Taucherglocken der Tiefsee, unter Überdruck. Die Werke sind Mammute des Widerstandes, aber vielleicht gerade deshalb vom Aussterben bedroht, weil der Gedanke der Verteidigung so rein in ihnen zum Ausdruck kommt.

(Bild: Elstern, Pica pica)