Thursday, October 30, 2008

Kirchhorst, 11. Juni 1939


Wieder beim Eichbaum von Grosshorst. Im heissen Felde Unterhaltung über die Art und Weise, in der die Schöpfung durch den Darwinismus wie mit dem Stahlstift nachgezogen wird. Friedrich Georg: "Die Tiere gleichen dort den Blumen, die aus Zinkblech nachgebildet sind." Der Überlegenheit, mit der Schopenhauer in seinen Ausführungen über die Vergleichende Anatomie alle derartigen Versuche gewissermassen schon vor ihrem Entstehen entkräftete, wenigstens für gute Köpfe, bleibt immer ein Ruhmesblatt für uns. Dennoch gehört es zur geistigen Mechanik, dass solche Lehren in ihrem vollen Umfang durchlaufen werden müssen und dabei Früchte bringen, denn sie bleiben in ihrem Rahmen wahr. Freilich ist auf den unteren, empirischen Rängen die Wahrheit mühsamer, mit grösserer Bewegung verknüpft. Auch hier lässt sich das Wort anführen, dass, was im Kopfe fehlt, von den Beinen geleistet werden muss.

Zum Kaffee sprach ein finnischer Professor vor mit Frau und Kind und brachte aus Oslo Grüsse vom Magister mit. Er meinte, dass Polen im Herbst auseinanderbrechen werde, was mir doch fraglich scheint. An dem Besucher wurde mir die Lage des Einzelwissenschaftlers deutlich, die sehr gefährdet ist. Sie hat sich der des Arbeiters angeglichen, der hinter der Maschine steht. Der Mensch ist aus dem Werk herausgetreten, das autonom geworden ist, und wird nun immer ersetzbarer und entbehrlicher. Man kann ihn auswechseln wie einen Maschinenteil, und auch die Ergebnisse, zu denen er gelangt, ja selbst die Erkenntnisse, sind ausser ihm geboren und instrumentieren den Vorgang mehr, als dass die in ihn eingreiffen. Die Unentbehrlichkeit des Menschen schwindet mit seiner Originalität und damit auch der Respekt vor ihm. Die Sicherheit dagegen eines Mannes noch wie Paul Gerhardt inmitten der Verfolgungen ist ungeheuer gross.

(Bild: Paul Gerhardt Sondermarke zum 350. Geburtstag, 1957)

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