Sunday, November 23, 2008

Schilfhütte, 25. Dezember 1939

Am Weihnachtsabend erst Rundgang durch alle Bunker, dann Essen mit dem Kompanietrupp – Fasanen, gut abgehangen in unserem Munitionsraum, der zugleich als Wildkammer dient.

Heut morgen dann Gang am Schwarzbach im Rauhreif, mit Erinnerungen an frühere Weihnachten. Es gibt nur eines, das uns nie verlässt – die Lebensstimmung, die seit dem ersten Bewusstsein die gleiche bleibt, wie eine Melodie, die immer wiederkehrt und deren Takte noch spielen, wenn das Schiff versinkt.

Ein Raubvogel strich von einer Schwarzpappel ab, liess sich dann auf einem Acker nieder und hüpfte in zugleich unbeholfen und heraldisch starren Sprüngen davon. Da ich ihm folgte, wollte er über den Schwarzbach setzen, fiel aber im Flug in Wasser und arbeitete sich wieder an das Ufer hoch. Als ich auf ihn zutrat, sah ich, dass sein linker Flügel zerschossen war; das Blut träufelte mennigrot in den Schnee. Der Vogel blickte mich starr mit seinen gelben Augen an, mit geradem, kühnem und völlig ungebrochenem Blick. Ich liess ihn, nachdem ich ihn lange betrachtet hatte, ohne ihn anzutasten, im Gestrüpp allein.

Gedanke: „Da du ihn nicht berührtest, kommt er vielleicht davon.“

Sodann vor einem Kruzifix. Kalt von der Dornenkrone hing der Reif in langen silbernen Fäden herab. Auch hatten die Augen Silberwimpern angesetzt, die leise im Lufthauch zitterten.

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