Wednesday, November 5, 2008

Kirchhorst, 19. Juli 1939


Nach dem Bade im Schlendern Unterhaltung über die Konstellation, die diese Jahre beherrscht. Die Menschen leben wie Tiere in einem trüben Wasser und kennen ihren Standort nicht. Ein Auge von stärkerer Durchdringung würde sie indessen wohlgeordnet erblicken wie Fähnlein, die im Felde stehen. Vielleicht ist diese mangelhafte Kenntnis der Dinge für den Mechanismus der Geschichte wesentlich, denn ihr gesellt sich Blindheit gegenüber den wirklichen Gefahren und damit eine Art von schicksalhaftem Mut. Es gibt indessen Zeichen, durch deren Kraft die Lage mit einem Schlag sichtbar werden kann. Sie flammen wie Raketen im dunklen Vorland auf.

Das Bad: ein Wassertümpel in einer alten Tongrube, die auf dem Weg nach Lohne liegt. Die runde Fläche ist fast bis zur Mitte von den braunen Blättern des Froschlöffels eingefasst; die Bremsen ziehen Figuren über ihr. Das Wasser ist tief und stil, und von der Tongrube dringen Moderblasen und kühle Wallungen herauf. Die Ufer sind von Weidevieh tief ausgetreten, und Wasserjungfern und Libellen sonnen sich am Schilf - rot, aschblau, schwarz und grün gegittert und blass mit dunklem Flügelband, die Leiber wie aus feinem, grellem Bambusrohr gesteckt. Die Schwalben kommen aus den Höfen angeflogen und netzen sich auf der Eintagsfliegenjagd die Brust. Ein kleiner Pump, von Schilf und hohen Binsen wie von Wimpern eingerahmt, doch auch mit Fischen in seiner Tiefe und dem Storch von neuwarmbüchen als Gast, der die Frösche spiesst. Auch hier regiert Neptun durch seine Diener, den Nix und jenen Geist, der in den Brunnen wohnt. Daher denn auch die volle Erquickung, die das Element gewährt.

(Bild: "Der Nix", Ernst Josephson, 1882)

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