Saturday, November 15, 2008

Halberstadt, 5. Oktober 1939


Ein plötzliches Kommando nach Halberstadt. Wenn wir spät und ermüdet, vielleicht auch noch bei Regen, an einem unbekannten Ort eintreffen, verlieren wir die Fähigkeit, die Dinge farbig zu sehen. Sie erscheinen uns grau, ja hoffnungslos. In solchen Fällen sollte man sogelich zur Ruhe gehen.

Beim Erwachen dagegen erscheinen uns nicht nur die Farben, sondern auch die Formen von einer neuen Kraft erfüllt. Ich erinnere mich, dass ich eines Morgens in das Muster eines Vorhanges gewobene Rechtecke in einer mir bis dahin unbekannten, ethischen Bedeutung sah. Die Dinge sind dan inhaltsprall - sie sprechen, sowie der Blick auf sie gerichtet wird.

Unangenehm ist das Erwachen kurz vor der Erholung, etwa zwei Stunden nach Mitternacht. Die Spanne ist besonders nüchtern; sie gleicht dem toten Punkt vorm neuen Pendelschlag. Napoleon lobt daher den Zwei-Uhr-morgens-Mut. Gefürchtet war diese Stunde auch in den Klöstern und Einsiedeleien der Thebais; es drohten in ihr gewisse Formen der Schwermut besonders stark. Mit Recht galt diese Art der Traurigkeit als Sünde, da sie den bösen Mächten den Weg erschloss. Darin liegt überhaupt das Übel der Melancholien; sie schaffen Stellen gleich Siegfrieds Lindenblatt. Im Stande hoher Kraft sind wir fast unverletzlich; selbst die Geschosse finden gleichsam nur durch Kanäle den Weg zu uns. In Island tasteten die Mütter den Körper der Krieger vorm treffen ab und fühlten, wo eine ungefeite Stelle war.

(Bild: Wappen von Halberstadt)

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