Tuesday, November 4, 2008

Kirchhorst, 17. Juli 1939

Vom 13. bis zum 15. Juli war hier Nigrinus zu Besuch, der jetzt in Hamburg Ethnologie studiert. Wir fuhren in die heissen Kiefernwälder um Kolshorn und sprachen dort über Masken, Waffen, Fischfang, Südsee-Inseln und über das Leben in der Steinzeit, das unter den Verlorenen Paradiesen hohen Rang besitzt. Im Sinne der gesteigerten Bewegung fängt die Moderne schon mit den Metallen an. Auch liegt hier der Einschnitt, der das Märchen vom Mythos trennt. Ich freute mich, dass er diese Dinge trieb, doch äusserte er Begier nach einem nahen Krieg.

An ihm fiel mir die physiognomische Veränderung auf. Wenn wir das Lebensfeuer spüren, prägen sich uns Makren, die Brandwunden gleichen, ein - vor allem in den Wangen, wo bei den Kindern das Grübchen sitzt, bilden sich Stellen, als wäre Schiesspulver aufgeflammt. Die Augen, die früher blanken Spiegeln glichen, gewinnen dann Schärfe, doch bleibt in ihnen auch ein Blick von Tieren, die durch brennende Reifen springen mussten, zurück. Oft tritt der Mensch verstört, versengt heraus, so wie ich es bei der Fürstin sah.

Am 15. Juli kam dann Carl Schmitt, doch sahen sich die beiden kaum. An C. S. fiel mir von je die Wohlgeratenheit und Ordnung seiner Gedanken auf, die einen Eindruck von präsenter Macht erzeugt. Beim Trinken wacht er noch stärker auf, sitzt unbeweglich, mit rotem Anflug im Gesicht, wie ein Idol.

Wir unterhielten uns unter vielen anderen Dingen auch über den Kaiser Andronikus, auf den ich durch Bloy gekommen war. Nachdem er viele Jahre als Tyrann regiert hatte, kam er zu Fall und wurde dem Pöbel von Byzanz anheimgegeben, der ihn in einer langen Reihe von Tagen zu Tode folterte, indem er doch sein Leben und sein Bewusstsein ängstlich zu erhalten suchte, wie man ein Licht vor allzu starkem Zuge schützt. Die Unterdrückten rechneten mit dem Gestürzten ab wie ein Insektenschwarm. Die letzten Worte: "Mein Gott, warum lässt du es zu, dass noch so endlos auf einem schon geknickten Halm herumgetreten wird?" Dann sah man ihn die Hand zum Munde führen, wohl um das Blut zu schlürfen, das dort aus einer Wunde floss.

Das Liebenswerte an Carl Schmitt liegt darin, dass er, obwohl er fünfzig Jahre vorüber hat, noch staunen kann. Die meisten Menschen nehmen doch sehr bald im Leben ein neues Faktum nur insofern auf, als es zu ihrem System oder gar zu ihren Interessen in Beziehung steht. Es fehlt die Lust an der Erscheinung und ihrer Mannigfaltigkeit an sich - der Eros, mit dem der Geist den neuen Eindruck gleich einem Samenkorn empfängt.

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