Monday, November 24, 2008

Schilfhütte, 5. Januar 1940

Kaffeestunde in der Schilfhütte, während deren ich die Tagebücher nachtrage. Eine Wachskerze aus der Lüneburger Heide steht auf dem blauen, geleerten Ingwerglas, das sie im Schmelzen mit gelben Fäden übersponnen hat. Die blaue Flamme umzittert eine gelbe Aura, ein feinster Lichtstaub, in dem sich die Materie zerstreut.

An Räucherkerzen verwandte ich bislang eine grüne Sorte, milde und angenehm, dann eine braune aus Sandelholz und endlich schwarze Stäbchen aus Japan, auf deren weisser Asche in dunklen Lettern ein Spruch erscheint. An trüben und feuchten Orten, auch in der Nachbarschaft der Ratten, gewinnt man Sinn für solche Wissenschaft.

Die Eigenart der Werke tritt nicht so scharf hervor, wenn man in ihnen wohnt. Sie wurde mir erst deutlich, als ich gestern den Bunker 14 unweit vom Zollhaus Greffern revidierte, den die Besatzung verlassen hat. Als ich mit grosser Mühe die ungeheure Stahltür geöffnet hatte und in die Betongruft hinabgestiegen war, stand ich zwischen den Machinenwaffen, den Entlüftern, den Handgranaten und der Munition allein und hielt den Atem an. Zuweilen fiel ein Tropfen von der Decke, oder es läutete in verschiedenen Signalen das Festungstelefon. Hier erst erkannte ich den Ort als Wohnsitz eisenkundiger Zyklopen, denen das innere Auge fehlt - ganz ähnlich wie man in den Museen oft Gegenstände schärfer in ihrem Sinn erkennt als jene, die sie vor langer Zeit benutzten und fertigten. So war ich, wie im Inneren der Pyramiden oder in der Tiefe der Katakomben, dem Zeitgeist konfrontiert, den ich wie ein Idol ganz ohne den bewegten Schimmer der technischen Finessen sah und dessen ungeheure Stärke ich begriff.

Übrigens erinnerte das sehr Gedrückte, Schildkrötenhafte dieser Bauten an die aztekischen Architekturen, und nicht nur äusserlich. Was dort die Sonne war, ist hier der Intellekt, und beide stehen in Beziehung zum Blut, zur Todesmacht

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