Tuesday, October 28, 2008

Kirchhorst, 26. Mai 1939


Verstimmung, die eigentlich, wo alles so schön blüht, unbegründet war. Die grossen Goldregenbüsche, die im Garten so herrlich leuchten, beweisen, dass es an Überfluss nicht fehlt. Auch schaffe ich jeden Morgen nicht übel an den "Marmorklippen", in denen ich die Schilderung des Pater Phyllobius beendete, wobei ich, wie ich hoffe, die katholischen Klischees vermied.

Am Nachmittag in Burgdorf, wo ich immer gerne bin. Die Stadt hat etwas unzerstörbar Trockenes, das allen Irrwegen der Historie in der Substanz gewachsen scheint. Freilich lebt in ihr auch von Erhebung und hohem Fluge keine Spur. Wenn ich die alten Häuser sehe, erfasst mich Hoffnung, dass das Menschheitsgeschlecht so bald nicht ausgerottet werden wird. Spät, aber mächtig beginnt mir einzuleuchten, was Stetigkeit im Leben heisst.

Auf dem Friedhof, der in voller Blüte war. Immer erfreut mich auch das Bild von Kindern, die dort spielen, während die Mütter an den Gräbern tätig sind. Auf einem der Hügel eine Staude von Tränenherzen, die sich sehr gut als Gräberpflanzen eignen, in reichem Flor. Die roten Tropfenblüten schaukelten wie Medaillons im zarten Wind. Ich dachte über meinen eigenen Grabstein nach, auf dem ich nur den Namen und die beiden Daten wünsche, und das Sinnen darüber war mir angenehm.

Auf dem Rückweg machte ich mir in der Nähe von Beinhorn an einem kleinen Kahlschlag halt und sass auf einem Eichenstumpf zwischen halbentrollten Farnen, deren Triebe noch brauner Sammet deckte, im Sonnenschein. Hier wurde mir ein wenig besser, und ich erfreute mich, wie schon so oft in solcher Stimmung, durch die subtile Jagt. Bereits auf dem Wege war mir der kleine Rüssler Magdalis armiger angeflogen, der seinen Namen den zwei Stacheln verdankt, die er am Halsschild trägt. Sodann entdeckte ich unter Eichenrinde den winzigen Laemophloeus duplicatus, den ich dann unter dem Mikroskop nicht nur dank seinen beiden Leisten, die Kopf und Halsschild zieren, bestimmte, sondern ich erkannte sogar die schmale Mittellinie, die nur zuweilen zu sehen ist, mit grosser Deutlichkeit. Aus dem verpilzten Eichenholz löste ich ferner einen Scolytus intricatus - und zwar ein Männchen, wie die beiden feinen Haarpinsel bewiesen, die es aufgerichtet auf der Stirne trug. Endlich wäre noch der gefleckte Litargus zu erwähnen, mit dem ich erst im vergangenen Sommer im Klosterforste zwischen Überlingen und Birnau Bekanntschaft schloss. Wie oft in solchen Fällen erscheint er mir jetzt nicht mehr selten - denn man lernt nicht nur die Tiere kennen, sondern vor allem die Art und Weise, sie im grossen Rebus der Natur zu sehen.

(Bild: Gefleckter Litargus)

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