Monday, October 27, 2008

Kirchhorst, 14. Mai 1939

Heute, am Sonntagnachmittag, besuchte mich ein dreiundzwanzigjähriger Leser, der als Gefreiter in Braunschweig dient. Wir tranken unter den Buchen zusammen Kaffee und gingen dann ins Moor. Es fällt mir auf, dass jeder, den ich auf diese Weise kennenlerne, mehr oder minder leidet, ohne dass ihm zu helfen ist. Die Zeit hat Ähnlichkeit mit einem bösen Engpass; die Menschen werden durch ihn hindurchgepresst. Vor allem habe ich, auch schon rein physiognomisch, den Eindruck, dass sie fast völlig im Bewusstsein leben und viel zu sehr mit den Gedanken an die Lage, in der sie sich befinden, beschäftigt sind. Sie zeigen Symptome von Examenangst; auch sind sie durchaus wach, und es ist seltsam, dass der Wille zum Glück und auch zum Ungebahnten so schwach in ihnen ausgebildet ist. Hier hat man immer das Gefühl, dass man mit Dauerläufern oder, was noch beklemmender, mit Dauerläuferinnen spricht. Wo wohl der Weltgeist heute seine Träumer und Schläfer in Reserve hält?

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