Tuesday, October 21, 2008

Kirchhorst, 10. April 1939


"Schlangenkönigin". Bei der Schilderung der Marmorklippen Vorsicht, damit kein Prachtgemälde, etwa im Stil der Isola Bella im "Titan", entsteht. Der Autor sucht den Eindruck des Schönen zu vermitteln, indem er den Leser mit Worten trunken macht. Die höchste Wirkung des Schönen liegt indessen nicht in der Verzückung; es fesselt uns durch Zauberbann. So kann es tiefere Lust in uns erwecken als den Rausch, der letzten Endes ins Leere drängt und den Gestalten nicht standzuhalten vermag. Im Zauberbann dagegen, der uns die Augen weitet, statt sie zu schliessen, gewinnen wir den tiefsten Eindruck, der dem Bewusstsein möglich ist. Im Angesicht der Schönheit soll die Beobachtung sich steigern; es gibt einen Zustand, in dem die Zeit langsamer zu laufen beginnt und die Farben stärker leuchten, wie im luftleeren Raum. Die Schilderung des Schönen setzt Mass, Entfernung und scharfen Blick voraus; mit blossem Stammeln ist nichts getan. Daher gehören Worte wie "unbeschreiblich" nicht in die Schilderung. Desgleichen ist das Schwelgen in Steigerungen ein Zeichen der Impotenz. Natürlich gibt es immer Grade, in denen die Form der Fülle oder auch der Glut nicht standzuhalten vermag und zerspringt. Dort handelt es sich um Regionen, die ausserhalb des Wortes gelegen sind; es ändern sich dann auch die Mittel ab. So stossen die reinen Melodien noch weiter vor und tragen noch leichteres Gewicht.

Ich finde, dass in dem berühmten Bild vom "Liebeszauber" das Wesen des Zauberbannes gut getroffen ist - besonders, weil es auch den Eindruck des Erschreckens vermittelt, der uns vor der Enthüllung überfällt.

Modelle zu den Marmorklippen: der Felshang beim Leuchtturm von Mondello, an dem ich mit dem Magister kletterte. Sodann der Gang von Korfu nach Kanoni, das Rodinotal auf Rhodos, der Blick vom Kloster Suttomonte hinüber nach Korcula, der Feldweg von der Gletschermühle nach Sipplingen am Bodensee. Die Falken- und Eulennester in den steilen Wänden des Durchstichs von Korinth. Die Akropolis; die Art, in der in Rio die Felsen aus dem Boden schiessen, so dass man an Orchideen und Schlangen denkt. Der Autor ist verpflichtet, viel zu reisen, um zu erfahren, was die Erde zu bieten hat. Dann aber müssen die Bilder sich mischen und verflüssigen wie Honig, der aus vielen Blüten eingetragen ist. Nur aus den Elementen der Erinnerung fliesst dem Geist die Nahrung zu.

Nachmittags bei guter Sonne im Moor und dort im Wassermoos nach kleinen Hydrophiliusarten gejagt. Bei dieser Arbeit glitt eine grosse Wasserspinne aus den Binsen auf den dunklen Spiegel des Torfstichs vor, an dem ich kauerte - tief sammetbraun mit filzig weiss gesäumten Leib. In diesen Frühlingstagen flimmern die Birkenreiser und die Stengel des Heidekrauts rundum im harten Licht, so dass der Eindruck des Frischgewaschenseins entsteht. Das Ungewöhnliche beruht wohl auf dem Gegensatz der noch winterlichen Vegetation zum schon fast sommerlichen Licht.

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