Wednesday, December 3, 2008

Schilfhütte, 2. Februar 1940


Traum. Halb in einem fliessenden Wasser stehend, hielt ich mit zwei schwachen Gerten ein Wesen von mir ab, in dem sich der Körper einer Ratte mit einem Schlangenkopf und Schlangenschwanz verband. Ich konnte es in der Schwebe halten, so dass die Strömung es nicht an mich trieb, doch lösten sich hin und wieder kleine schwarze Parasiten von ihm ab und glitten, mit den Beinen tastend, dicht an mir vorbei. Endlich befreite mich aus dieser Lage ein Knüppelhieb, der über meiner Schulter hinweg ins Wasser klatschte und dem Wesen den Garaus machte, das nun bäuchlings stromabwärts trieb. Er rührte von einem Bauern her, der hinterm mir hemdärmelig im Ufergras sass und mir gutmütig zunickte. Statt ihm zu danken, wandte ich mich von ihm, nachdem ich ihm zugerufen hatte:
"Don't disturb me!"

Erwachend erkannte ich die Figur als echt, denn oft im Leben war meine Anteilnahme an der Lage, in der ich mich befand, so brennend, dass ich das Widrige der Gegnerschaften, die sie mit sich brachte, darüber fast vergass.

Dabei erinnere ich mich an den Bruder Physicus, der mir einmal erzählte, dass ihm in einem Traumhandgemenge ein Schuss das Leben raubte, doch dass die Neugier nach dem Ausgang dieses Treffens ihn auch im Tode nicht ruhen liess. Da ihm zum Schuss indessen das sinnliche Instrumentaruim fehlte, trat er im Geiste hinter einen der Überlebenden und blickte, von ihm als einer Brille profitieren, duch ihn hindurch.

Zur Désinvolture. Hier liesse dich noch erwähnen das Wort gracious, zu dem uns gleichfalls die Entsprechung fehlt. Die Paarung von Macht und Anmut ist bei uns zu selten, um eigene Worte hervorzubringen, und diese Sprödigkeit hat uns im Grunde im Lauf der Weltgeschichte den guten Anspruch oft verscherzt. Daher leben dann auch Ausnahmen, fast als Zauberwesen in der Erinnerung fort.

Am frühen Morgen brachten die Leute ein Reh, das sich im Drahtverhau bös verletzt hatte. Das Tier stand zwischen uns, scheinbar ganz ohne Scheu, indem es den Schnee mit Blut einfärbte, und mir fiel auf, wie es so ruhig, ja intelligent zu leiden schien. Ich hatte dann in der Schilfhütte ein Telefongespräch, und als ich wieder nach draussen kam, hing es schon ausgeweidet am Spannholz in der Luft. Der Melder, als ich ihn zur Rede stellte:
"Wenn wir es hätten laufen lassen, dann hätten andere es gegriffen und abgeschlachtet. So haben wir auch etwas."
Dieses "auch" den imaginären Schlächtern gegenüber fand ich dialektisch so gut gelungen, dass ich die Sache auf sich beruhen liess.

Am Nachmittag durch hohen Schnee nach Stollhofen. Rechts hörte ich zum ersten Mal in diesem Krieg eine Beschiessung, die mich an Deckung denken liess. Das Feuer gegen einen einzelnen Bunker klingt in der Weite der Landschaft fast punktförmig und sehr genau. Man unterscheidet mehrere Takte - die schnellen, fliessenden einer Gruppe von Maschinengewehren und dazwischen langsamer, stärker und heiserer die Arbeit der überschweren und panzerbrechenden Schusswaffen. In einer Entfernung beachtet man, fast wie bei einem Strassenunfall, den Vorgang kaum.


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