Tuesday, December 2, 2008

Auf der Fahrt, 29. / 30. Januar 1940


Rückfahrt. Bei diesem Aufbruch hatte ich das Gefühl, seltsamen Dingen entgegenzufahren, unbekannten, nahen, die keine Phantasie errät. Als der Zug anrollte, begann Perpetua zu weinen und stieg schnell die dunkle Treppe hinunter, während ich langsam aus der Halle fuhr.

In Northeim sah ich das Abendrot als mattes Glühen am grauen Himmel und über dem dunstigen Schnee. In solchen grauen Einöden leuchtet die Farbe auf geheimnisvolle Weise, als anderes und überlegenes Prinzip. Oft scheint sie in den Atomen aufzuglühen, wie man es an der Perle, der Perlmutter und den Opalen sieht. Das Grau entzündet sich in ihnen und gibt der Farbe schillernde Tiefe - nicht die des Raumes, sondern des Zauberspieles, das die in der Materie versteckten Schätze zur Oberfläche hebt. Auf diesem Sinnbild beruht die Kostbarkeit der Perlen: es gibt Punkte, an denen wir erkennen, dass ein Stückchen Stoff von Erbsengrösse unschätzbar wertvoll ist.

Karlsruhe. Nachts zwischen zwei und vier im Wartesaal Lektüre der "Consolationes" des Boëthius. Die Massen in der grossen Halle - Urlauber, Eisenbahner, Arbeiter mit früher Schicht, auch Angetrunkene und vereinzelte Frauen, grau, stumpf, leidend wie im Traum. Sehr sonderbar, wenn einer von ihnen lacht.

Im Pfarrhaus erfuhr ich, dass die Truppe seit gestern in die Bunker abgerückt ist. Kurzer Schlaf im kalten Zimmer, dann Fahrt nach Rastatt. In den Nichtraucherabteilen ist es immer ein wenig leerer - so schafft schon eine Askese niederen Ranges den Menschen Raum. Wenn wir als Heilige leben, ordnet sich uns das Unendliche zu.

(Bild: Anicius Manlius Severinus Boëthius, mittelalterliche Illustration)

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