Saturday, December 27, 2008

Auwaldhütte, 10. April 1940


In Rastatt, als Zeuge in der Sache eines Schützen, der der unerlaubten Entfernung angeschuldigt war. Das Kriegsgericht tagte in einem der schönen Säle des alten Schlosses, und der Vorgang stellte sich mir in starker Weise als Ganzes dar. Ich sah die Richter, die Zeugen, die Wache, den Schreiber, den Angeklagten und auch mich selbst sehr aufmerksam am Werk und tief im Lebensraum.

In solcher Stimmung stellen sich mir Räume dieser Art als Zellen in einem grossen, uralten Bienenkorbe dar; wir trieben es da nicht anders, als man es vor vielen tausend Jahren in Ägypten, in China oder Babylonien trieb. Dies Unveränderliche Insektenhafte gab mir ein wenig Zuversicht und Heiterkeit, indem ich dachte: "Es steckt in allem doch ein Gesetz, das tiefer ist als die Kulturen, und selbst, wenn diese brechen, spinnt sichs immer von neuem an." Von diesem Optimismus profitierte auch der Angeklagte, indem mein Zeugnis ihn günstiger erfasste, als es, strengenommen, angängig war.

Am Abend, beim Teee in meiner Auwaldhütte, musste ich über diese Grillen lachen: "Bei schönen Frauen sind wir allen, die jemals waren, schliesslich noch ähnlicher. Solange diese auf Erden leben, kann es nicht gänzlich sinnlos sein." Dann tauchten Meerestiere, wie ich sie jenseits der Azoren gesehen habe, aus der Erinnerung - ein Wesen gleich einem Aale oder eine Schlange, graublau mit hellen Bändern, die brennendrote Portugiesische Galeere, Fliegende Fische in Pfauenaugenfarben und mit den Tropfenreihen, die, von den Flossensäumen perlend, den Meeresspiegel zeichneten. Sie zogen vorüber wie Bilder, die man an den Wänden der Speisesäle in Pompeji sieht, jedoch auf lapisblauem Hintergrund. Und alle diese Schätze gleichen doch nur Bruchstücken von Geschmeiden, wie sie der Zufall aus kristallenen Kammern hebt, sind nur ein Abglanz der unsichtbaren Fülle, die in der Tiefe lebt. Daher gerinnen sie uns auch, wenn wir sie mit Händen greiffen, oft schon in Augenblicken zu farbiger Gallerte und zu buntem Schaum.

Wo solche Kleinodien achtlos dem Verderben ausgeliefert werden, muss ungeheurer Reichtum im Hintergrunde stehen. Wir kennen die Münzen und kennen die Münze nicht. So kennen wir auch das Leben und kennen das Leben nicht. Wir tasten uns an unseren Abstraktionen hin.

Das Meer kennt keiner, der nicht Neptun gesehen hat.

(Bild: Schloss Rastatt, Postkarte aus dem Jahre 1937)

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