Monday, December 22, 2008

Auwaldhütte, 29. März 1940


Am Morgen dieses 45. Geburtstages schien die Sonne sehr schön im lichten Pappelhain. Wie immer kam Rehm als erster in die Hütte, gratulierte und stellte Blumen und Orangen auf den Tisch. Dann zog ich mich an und las am offenen Fenster den 73sten Psalm.

Nach dem Frühstück trat ich unter die Pappeln, wo der Hornist den Willkommen blies, während der Kompaniertrupp mich in strammer Haltung erwartete. Sein Führer, Unteroffizier Fasbinder, überreicht mir eine Flasche Rotwein, an deren Hals ein Veilchenstrauss geheftet war.

Dann kamen Spinelli und der Hauptfeldwebel; der eine wünsche mir Glück im Namen der Offiziere, der andere im Namen der Kompanie. Sie überreichten mir ein Messer aus Elfenbein.

Ich ging dann wie gewöhnlich die Stelung ab und traf bei der Rückkehr den Oberst, die Ärzte und die Führer der Nachbarabschnitte an, die ich mit Likören, Zigarren und Konfekt bewirtete. Es waren Briefe und Pakete angekommen, so dass die Hütte recht festlich anzuschauen war. Am meisten erfreute mich ein in genarbtes Leder gebundenes Tagebuch, das eine Leserin für mich gefertigt hatte und das den roten Cucujo, eines meiner geheimen Wappentiere, als Zeichen trug.

So rückte der Mittag heran. Zum Kaffee gedachte ich in Gesellschaft von Spinelli den grossen Kuchen anzuschneiden, den Oberstleutnant Vogler mir aus Baden-Baden gestiftet hatte, und stand gerade im Begriff, den Höhrer vom Telefon zu nehmen, als im Auwald das Hämmern eines überschweren Maschinengewehres erklang. Gleich darauf wurde von Stand 47 ein Krankenträger angefordert; ich liess mir daher ein Fahrrad bringen, um zu sehen, was es gab.

In diesem Stande steht eine Abwehrkanone hinter einem zu leichtem Panzer, der neulich schon von einigen Treffern durchschlagen worden war, die sich dann noch im Schutzschild abgedrückt hatten. Ich traf den Führer, Unteroffizier Neumann II, mit seine Leuten auf dem freien Platze vor dem Bunker und erhielt von ihm Bericht.

Die Dinge lagen so, dass kurz nach Mittag ein Wachtmeister und ein Gefreiter von der nahen Artilleriebeobachtung gekommen waren, beide Neulinge am Ort. Der Wachtmeister äusserte den Wunsch, die von Geschosseinschlägen besäte Stirnwand des Bunkers zu photographieren, und ohne auf Warnung des Unteroffiziers zu hören, stieg er, gefolgt von dem Gefreiten, über den hohen Aufwurf des Werkes zum Rheinufer hinab. Im gleichen Augenblick begann von drüben, aus dem Panzerwerke "Roter Rhein", in dem rabiate Burschen hausen, ein Maschinengewehr zu spielen, und die beiden Artilleristen bleiben auf der grünen Böschung liegen, die weithin sichtbar ist. Der eine hatte noch gerufen, vom anderen hatte man nichts mehr gehört.

Nachdem ich den Ort besichtigt hatte, beschloss ich, die beiden zu bergen, was freilich auf dem Wege, den sie genommen hatten, unmöglich war. Vielmehr musste links von dem Bunker ein breiter Drahtverhau zur Annäherung durchschnitten werden, und zwar derart, dass die Arbeit durch einen Saum von dürrem Gras getarnt wurde, das zwischen den Uferbäumen wuchs.

Inzwischen war auch Spinelli angekommen, und wir folgten den Leuten, die kriechend die Gasse schnitten, bis nach einer guten halben Stunde der Weg geöffnet war. Zwischen den Bäumen hingen noch einige Tarnmatten aus gelbem Rohr, die gegen den gröbsten Einblick deckten, dann waren bis zu den beiden liegenden Gestalten noch etwa fünfzehn Schritte zu tun. Die Feste "Roter Rhein" war gegen vierhundert Meter weit entfernt.

Ich hatte mit Spinelli, der nicht nur ein gewiegter Reisender in Gewürzen, sondern zugleich ein wackrer Leutnant und meine gute Stütze ist, beschlossen, dass wie den Gang tun wollten; ich fühlte mich dazu aufgelegt. Auch Spinelli war guter Laune und schritt eilig auf das Ende der Tarnung zu. Als ich ihm folgen wollte, erschienen hinten in der Gasse Leutnant Erichson von der Vierten und bat mich lebhaft, sich beteiligen zu dürfen - er habe "so was noch nie mitgemacht". Ich fand indessen die Partie schon reichlich besetzt und gab ihm den Auftrag, die Bergung zu sichern, indem er die Scharte des Panzerwerks auf dem Visier behielt. Dann schritt ich eilig mit Spinelli auf die grüne Böschung vor. Hier sah ich den Gefreiten liegen; ich fasst ihn an und fand ihn noch warm. Dennoch waren die Glieder bereits ein wenig steif. Der Wachtmeister lag neben ihm; wie er mir zurief, war er nur leicht gestreift, sonst unverletzt. Darauf befahl ich ihm, den Toten am Kopf zu fassen, während Spinelli ihn an den Beinen und ich ihn am Koppel trug.

In dieser Ordnung taten wir einige Schritte, dann hüllte uns pfeifend und knallend die Garbe der überschweren Waffe des Panzerwerks ein. Ihre Geschosse klatschten durch die dicken Pappeln, zerschellten am Bunker, klirrten durch die Drähte und rissen Furchen im grünen Boden auf. Wir warfen uns nieder; ich fühlte die Beine des Toten neben meinem Kopfe, während ich unter dem Drahtverhau in einer flachen Mulde lag, wie Hühner sie ausscharren. Ich spürte den Schlag, mit dem ein neuer Treffer ihm den rechten Arm zerbrach. Sie hielten uns unter Feuer, während die hochgestäubte Erde uns in die Haare rieselte und sich ein Dunst von funkendem Metall verbreitete.

Übrigens bat Spinelli mich während dieser Spanne, mein linkes Knie mehr anzuziehen, das zu offen lag. Ich schätzte das umso höher, als er eigentlich noch ungedeckter als ich am Uferrand in Stellung gegangen war. Dann setzte Erichson mit seiner Waffe ein und legte das Feuer durch Gegenfeuer lahm. Wir bliben noch eine ganze Weile an den Boden gepresst; endlich krochen wir hinter den Matten durch die Gasse zurück.

Ich wollte nun die Kanone fertig machen lassen, doch zeigte sich, dass ein Geschoss der Garbe, die uns gegolten hatte, die Scharte durchflogen und dann die Rücklaufbremse angeschlagen hatte, so dass die Waffe beschädigt war. Wir standen hinter der Bunkermauer, während ein neuer Hagel von Geschossen die Stirnwand des Nachbarwerks aufstäuben liess. Ein Klümpchen von geschmolzenem Blei traf auf das Achselstück des Assistenzarztes; es klemmte sich dort gleich dem Stern eines Oberarztes fest und gab zu einer Fülle scherzhafter Glückwünsche Veranlassung.

Im Abenddämmern holten wir, gemeinsam mit seinem Batteriechef, den Toten ein. Ich war dabei, als ihn der Stabsarzt, um die Wunden zu betrachten, eintkleiden liess, und sah den schweren Treffer am Arm, der schon nicht mehr geblutet hatte, und viele Verletzungen am Leib, aus deren einer eine kupfern Kugel fiel. Unmittelbar tödlich aber musste ein überschwerer Treffer am Hinterkopf gewesen sein; er hatte die Schädeldecke durch eine lange fast spannentiefe Furche ausgepflügt.

Wiederum, wie schon so manches Mal an solchem Ort, bemerkte ich deutlich die gereizte Stimmung, die um den Hingestreckten waltete. Sie äusserte sich bei denen, die ihn entkleideten und seine Sachen verwahrten, doch auch bei denen, die ihn betrachteten. Das ist ein tiefer Zug, in dem sich ein verborgenes Schuldverhältnis offenbart.

So endete mein Geburtstag, der sich mir in der Erinnerung erhalten wird.

(Bild: "Cucujo", Pyrophorus noctilucus)

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