Tuesday, December 16, 2008

Auwaldhütte, 28. März 1940


Seit zwei Tagen hause ich in meinem neuen Gefechtsstand, einer Holzhütte inmitten des lichten Auwaldgürtels, der den Rhein und die verschlungenen Altwasserarme vor Iffenzheim umschliesst. Erhöte Stege führen zu den Kampfbunkern am Flussufer.

In den Nächten ist es noch kühl, trotzdem läuten die Unken in den Waldteichen. Aus den Erlenbüschen schnurrt das jähe, automatische Kollern der Fasanenhähne, und in den Schilfgürteln ertönt das Flattern der Enten und das hörnerne Quäken der Teichhühner. Auch fischen graue Rheier auf den Sandbänken. Ganz nahe meiner Hütte hält eine Häsin zwei Junge im Nest, die sie bei rauhem Winde unter Blättern verscharrt.

Gleich nach meiner Ankunft in Iffezheim machte mich eine Grippe bettlägrig. Ich half mir durch eine starke Schwitzkur auf. Viel wirkte auch die gute Pflege des Dr. Eiermann und seiner Gattin, bei denen ich im Quartiere lag. Die Krankheit stellt eine Frage an unsere Lebenskraft; wir geben die Antwort durch Erhöhung der Lebenszeichen, wie der Flüsse, der Wärme des Blutes und der Geisteskraft, die in den Fiebern tropisch wird. Bedeutend sind auch die labyrinthischen Anstrengungen während der Fieberträume; wir tasten uns zu den verborgenen Schätzen der Gesundheit vor. Im Grunde findet wohl eine Prüfung des Herzens statt.

Lektüre während der Genesung: Moltke, "Gespräche", die soeben in Hamburg herausgekommen sind. An diesem Geiste sticht vor allem die Sparsamkeit hervor, wie sie auch physiognomisch an den schmalen Lippen sichtbar wird. Wenn man die alte Ritterschaft mit einem reichen und fein verästelten Kristall vergleicht, dann ist hier jeder Zierat hinweggeschmolzen und ausgespart. Dennoch sind alle Haupt- und Richtungsachsen unversehrt geblieben; und so kommt es, dass diesen kargen Menschen mythischer Glanz umwebt. Wie zart ist etwa sein Mitgefühl mit dem besiegten Gegner, wie mit Napoleon und Benedek. Er steht im absoluten Range höher als Bismarck, der zwar von reicherem, doch auch gemischterem Metalle war. Der war dem Zeitgeist näher und konnte dem Gegner in gleicher Münze zahlen, während ein Degen von reinem Erz nur noch im Heere und im alten Lehensverband möglich war.

Dann blätterte ich in Bänden von "Atlantis", einer Zeitschrift, die in manchem Jahrgang recht gut gelungen ist und die mich an das alte, solide "Pfennig-Magazin" erinnert, das ich, gleichfalls im Fieber, bei Celsus in Norwegen las.

Aus einem Aufsatz über China zog ich einige Sentenzen aus, die mir behagten:

"Wenn einer den Mund hält, werden seine Wiorte sprichwörtlich."

"Du kannst nicht zu einem Brunnenfrosch vom Ozean sprechen."

"Wer einen Tiger reitet, kann nicht mehr absteigen."

Endlich las ich das letzte Buch von Henry de Montherlant, der sehr gewonnen hat. Ich zähle ihn, ähnlich wie T. E. Lawrence, Saint-Exupéry, Quinton, zu der ganz kleinen, hohen Ritterschaft, die aus dem Weltkrieg hervorgewachsen ist. Erst wenn die Glut erkaltet, treten die Diamanten aus schwarzem Kohlenfluss hervor.

(Bild: Zeitschrift "Atlantis", 1929 - 1964)

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