Friday, July 10, 2009

Welschbillig, 22. Mai 1949


Wieder in aller Frühe Wecken, dann Marsch über Fell und Longuich durch das Moseltal, am Fusse der mächtigen, auf das sorgfältigste bestellten Weinberge entlang. Ich hatte dabei den Eindruck letzter Ausgeformtheit, der sich durch den Anblick der Brücken, der Bauten und der vor den Häusern stehenden Einwohner noch steigerte. Dazu Namen wie Dezem und Quint. Mir kamen die schönen Verse des Antonius in den Sinn. Hier ist unsere romanischste Ecke, abgesehen vom Südtirol. Die Wahl der Striche, in denen die Römer siedelten, hing nicht vom Zufall ab. Wir Menschen sind Wesen mit unsichtbaren Wurzeln, die überall zu leben wissen; Gedeihen aber bringt und nur der angemessene Ort.

Das Wetter war drückend, schwül; diesmal gab es weniger Fuss- als Magenkranke, dazu Erbrechen, Nasenbluten, Kopfschmerzen, Übelkeit. Nachdem wir in der grellen Sonne eines Steinbruchs in der Nähe von Ehrang Mittagsrast gehalten hatten, verspürte ich Schmerzen im Nacken und bestieg den braven Justus, der schlecht und recht dahinstolperte.

Während des Marsches erfuhren wir in den Dörfern und kleine Städten durch Lautsprecher von den gewaltigen Erfolgen des Angriffs, von denen ich, dem die ungemeine Zähigkeit der Fronten durch hundertfache Erfahrung zu einer Art von Dogma geworden ist, besonders überrascht wurde. Dieser Krieg weicht eben in allen Einzelheiten vom Schema des verflossenen ab, an das ich meine Gedanken daher nicht länger heften will.

Unterkunft in Welschbillig. Ich wurde hier in einem Hause, das auf römischen Grundmauern steht, bei einem Bauern einquartiert. Nachdem ich ein wenig geschlafen hatte, schickte mein Wirt mir durch Rehm eine Schüssel von Bratkartoffeln mit eingemachtem Rindfleisch, die zur Sättigung von drei Holzfällern genügt hätte. Das Verhältnis des Quartierwirts zum Soldaten ist ein besonderes, insofern es, ähnlich dem heiligsten Asylrecht, noch zu den Formen der uralten Gastfreundschaft zu rechnen ist, die man ohne Beziehung auf das Individuum gewährt. Der Krieger hat das Anrecht, in jedem Haus zu Gast zu sein, und dieses Vorrecht zählt zu den schönsten, die ihm sein Stand gewährt. Er teilt es einzig mit dem Verfolgten, dem Leidenden.

(Bild: Historische Karte der Mosel, 1646)

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