Tuesday, July 14, 2009

Neufchâteau, 25. Mai 1940

Am Morgen Abmarsch über Martelange. Dort war die Brücke zerstört, auch viele Häuser, wohl infolge von Sprengungen. Hier und dort sah man die Bauern schon wieder auf den Feldern arbeiten. Ists Zuversicht, ist es insektenhafter Trieb, was den Menschen so unverdrossen inmitten der Vernichtung zum Werke zwingt? Indem ich dies notiere, erhebt sich in mir die merkwürdige Replik: "Du führst ja auch Tagebuch."

Bolanges, Fauvillers, Vitry. Auf diesem Wege Spuren von Kämpfen zwischen Aufklärungsarbeiten, sehr übersichtlich, wie für einen taktischen Spaziergang aufgebaut. Man sah Häufchen von Hülsen an den Stassenrändern, daneben Gräber, dann Spuren von Panzerwagen, die sich auf den Feldern entwickelt hatten und von denen einer im Feuer geblieben war, und endlich eine Stassensperre, wieder mit Gräbern und belgischen Stahlhelmen darauf.

In Traimont Mittagsrast. In einem Häuschen, aus dessen Brunnen ich Wasser holen liess, lud mich der Besitzer zu einer Tasse Kaffee ein. Ein Bauer von sechsundsiebzig Jahren - sagte übrigens septante-six statt soixante-seize. Hatte drei Kriege gesehen, besitzt drei Hektar Land, dazu Sohn, Schwiegertochter und sieben Enkelkinder. Ich gab den Kleinen, die sehr zutraulich waren, Geld für die "tirelire".

In Neufchâteau schlugen wir am Stadtrand Zelte auf. Die Stadt machte einen anarchischen Eindruck. Der grösste Teil der Einwohner ist geflüchtet, die Häuser stehen leer, der Hausrat ist zusammengeworfen. Ich teilte Nachtstreifen zur Aufrechterhaltung der Ordnung ein und unterrichtete die Mannschaft nochmals darüber, dass kein Grad der Zerstörung Übergriffe in Dingen des Eigentums rechtfertigen kann. Zur Veranschaulichung liess ich Stroh, dass ich für die Zelte aus einer nahen Scheune beigetragen hatte, vor der Front durch den Rechnungsführer schätzen und seinen Preis der Besitzerin sogleich bar auszahlen.

Der Eintritt in solchen Zonen wirkt immer lockernd - das merkte man auch bei der üblichen Befehlsausgabe, bei der wegen irgendeiner Pferdesache ein Wortwechsel zwischen den Offizieren entstand. Ich war neugierig, wie der Kommandeur sich verhalten würde. Er beschränkte sich darauf, zu sagen: "Meine Herren, wir wollen doch Kavaliere bleiben, sonst kommen wir nicht weit." Der kleine Satz wirkte gut, gleichsam aufweckend.

Gegen zwei Uhr morgens Flakfeuer im Ort, doch keine Abwürfe. Tagsüber, wie immer, nur deutsche Maschinen.

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