Wednesday, July 29, 2009

Gercy, 2. Juni 1940


Gespräch mit der alten Dame, die siebzig Jahre zählt. Ihre Kinder und Kindeskinder sind geflüchtet, ohne dass sie weiss, wohin. Sie erzählte mir, dass bei unserer Annäherung eine Art von Panik ausgebrochen sei. Ihre Tochter hatte sich, während sich in der Nähe von Gercy ein kleines Gefecht entwickelte, mit den Kindern in ein Auto geworfen und war davongejagt, als schon Geschosse um den Wagen herumsausten. Die Alte kränkelte wie eine Pflanze, die man an den Wurzeln erschüttert hatte. Ich sprach ihr Trost zu und Befahl den Ordonnanzen, die sehr verständig sind, ihr jede Arbeit, auch die des Kochens, abzunehmen.

In der Kirche, die verlassen steht. Doch läutet der Aumônier, der zurückgebliben ist. In der Sakristei ein kleines Lager von Abendmahlswein. Indessen schien es, dass durstige Gemüter ihn der kanonischen Vorschrift: "Vinum sacramentale debet esse de gemine vitis et non corruptum" gerecht erfunden hatten, denn die Flaschen lagen geleert am Boden verstreut.

Abends beim Kommandeur. Ich durchblätterte bei ihm ein vielbändiges Werk, in dem die Gemälde des Louvre abgebildet sind, und dachte dabei an das Gespräch zwischen Nietzsche und Burckhardt vor siebzig Jahren über das Schicksal dieser Sammlungen.

(Bild: "La retraite de l'aumônier" von Jules-Alexis Muenier, 1886)

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