Thursday, December 4, 2008

Schilfhütte, 7. Februar 1940


Das Tauwetter hält an. Am Nachmittag erhob sich im linken Nachbarabschnitt eine heftige Schiesserei mit Maschinenwaffen in drei Tonlagen; sie lebte mehrere Male wieder auf. Verirrte Geschosse schlugen bei Greffern in unseren linken Flügel ein. Es wird nun Zeit, dass ich die Verbindungswege, die ganz im Schlamm versunken sind, durch Faschinenwerk abdecken lasse. Auch der Schilfhütte täte ein Sandsackgürtel gut.

In den Nächten steigt drüben häufig ein Fesselballon auf mit einem Licht, das einem roten Sterne gleicht. Beim Einholen wird die Gondel zuweilen vom Boden angestrahlt, auch hörten die Posten vom Werk "Alkazar" das Geräusch der Winde, die ihn zog. Die Franzosen tarnten gestern und heute das waldige Ufer, das uns gegenüberliegt, mit hohen Schilfblenden. So deuten manche Zeichen auf das Ende der Idylle in diesem Abschnitt hin.

Gelesen: "Ludwig Devrient" von Altmann, ein Weihnachtsgeschenk von Bruder Physicus, mit vielen mir neuen Einzelheiten über Hoffmann und den Betrieb bei Lutter und Wegener. Hier blühte für kurze Jahre einer der seltenen Zirkel, bei denen man von einer Kultur des Rausches sprechen kann, während im allgemeinen das Urbild der Orte, an denen unsere Zecher schmausen, wohl mehr in Auerbachs Keller zu suchen ist. Daher hielt sich wohl auch der wüste Grabbe nicht in diesem Kreis.

Es finden sich bedeutende Einblicke in das Wesen des Rauschen selbst - wie in der Hoffmannschen Bemerkung, dass durch den Wein im Trinker nicht Ideen geschaffen werden, sondern nur durch der Umschwung der Ideen gefördert wird. Die Phantasie vergleicht er dabei einem Mühlrad das sich beim Schwellen des Stromes hurtiger bewegt - das Getriebe dreht sich funkelnder und rascher, wenn der Zecher Wein aufgiesst. Dem entspricht auch meine eigene Erfahrung - der Rausch addiert nicht, er multipliziert. Bei Brüchen verkleinert er sogar.

Auf die Kunst des Sprechens beim Spiel eingehend, macht der Autor die treffende Bemerkung, dass es einen höheren Sinn der Sprache geben kann, indem das Wort sich über die eigene Bedeutung zum Träger des Affekts erhebt. Nur möchte ich dies den tieferen Sinn des Wortes nennen - die Sprache senkt sich auf die reine Lautbedeutung, auf das Alphabet der Leidenschaft hinab. Demgegenüber hat sie auch eine höhere Sphäre, in der das Wort gleichfalls undeutlich wird - es löst sich im reinen Äther auf. Es schmilzt an den extremen Graden des Sinnlichen und Geistigen dahin. Wir erfassen mit ihm nur die mittlere Lage; es ist Münze, die unter Menschen gilt.

Sehr gut auch über den stärksten Ausdruck der Leidenschaften, bei dem die Töne sich verkehren, indem etwa das Grässliche in verzerrter Freude ausgesprochen wird. Dem entspricht dann das Verhalten des Publikums, das nicht mehr wie sonst dem Spiel das Tosen des Beifalls spendet, sondern schweigend und ohne Regung im Zauberbann verharrt. Nach allem Überlieferten muss es sich bei Devrient um eine Kraft gehandelt haben, wie sie höchst selten in Erscheinung tritt.

Stilistisch: "Es kam aber auch vor, dass das allzu betonte Fingerspiel ihm manchen Tadel eingetragen hat." Der Eindruck des Schiefen wird hier durch eine Überladung hervorgerufen, da die Stimmung des Ungenauen sowohl dem Haupstatz wie dem Nebensatze aufgetragen ist und so die doppelte Beleuchtung in logisches Zwielicht wirft.

In dem Zitat aus der Terenz-Übersetzung auf Seite 186:

Und so, ein Gläschen nach dem anderen schlürfend, soll mir gemächlich dieser Tag vergehen.

mangelelt dem Partizipialsatz die Führung durch das grammatische Subjekt. Ein solcher Fehler wird schwer entdeckt, sollte aber in einem guten Text nicht vorkommen.

An Devrient wurde auch gerühmt, dass er die "A parts" wirklich für sich, und nicht zu den Zuschauern, zu sprechen verstand. In der Tat ist das ein Zeichen nicht nur des Mimen, sondern jedes Künstlers von Geblüt. Die Worte und Werke sind Gespräche und Selbstgespräche, die der Zuhörer belauscht. Die Rolle des Publikums ist andersartig, als es den groben Anschein hat - es bietet nur den Anlass zur Entfaltung der künstlerischen Kräfte und ist beileibe nicht ihr Adressat. Dennoch ist seine Rolle bedeutend, so in der Qualität der Zeugenschaft.

(Bild: Ludwig Devrient, deutscher Schauspieler, 1784 - 1832)

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