Friday, January 2, 2009

Auwaldhütte, 14. April 1940


Am frühen Morgen weckten mich die Maschinengewehre vom Panzerwerk „Roter Rhein“ – das neue in der oberen Scharte des Panzerturmes und das überschwere, das unseren rechten Flügel flankiert. Ich rief Erichson an und gab ihm Feuerbefehl. Dann fuhr ich, nachdem ich mich hastig angezogen hatte, mit dem Rade durch den Auwald nach vorn.

Kurz vor dem Stand geriet ich in eine Garbe, die in die Pappelstämme klatschte, und suchte eilig den Verbindungsgraben auf. Spinelli, der bereits an Ort uns Stelle war und mit der Besatzung hinter der Betonwand des Bunkers stand, winkte mich richtig ein. Ich liess zwei schwere Gewehre auf die Scharten richten und teilte Scharfschützen ein. Dann ging ich, um noch einen guten Richtschützen zuzuziehen, zu Erichson, in dessen Kampfraum ich den Krankenträger fand. Er war damit beschäftigt, Erichson zu verbinden, der stark am Halse blutete, auch hatte er drei Schützen, die surch Splitter verletzt waren, mit Jod betupft. Sie waren alle benommen wie Fische, die plötzlich an die Luft gezogen sind.

Ich hörte, dass ein Schartentreffer mit lautem Knall und einem Feuerstrahl im Raum auseinandergeflogen war. Andere Geschosse hatten das Maschinengewehr am Lauf getroffen und das Zielfernrohr gekappt, das auf dem Tische lag. Zum Glück war auch Erichson nur leicht verletzt, so dass ich mich gleich wieder zu jenem Stande begeben konnte, der unser Brennpunkt ist.

Die Garbe strich noch durch den Wald, in dem mir der Verbindungsgraben zustatten kam. Freilich war er noch nicht durchlaufend ausgebaut, so dass es auch Stücke zu überspringen gab. Sehr gut die Kalkulation an Strecken, an denen es so über Deckung geht. Der Geist stellt immer eine scharfe Wahrscheinlichkeitsrechnung an, ehe der Körper springt.

Vor dem Stande hatte Spinelli schon alles aufgebaut. Ich ging noch einmal an das Scherenfernrohr und visierte die Scharte an, aus deren Schlitz ein neues und stärkeres Gewehr als jenes vor unserer letzten Räucherung hervorragte. Nachdem ich den Richtschützen eingeschärft hatte, dass es von ihnen abhänge, ob der Beschuss ernsthaft erwidert würde oder nicht, gab ich das Feuer frei. In diesem Augenblick strichen drüben, wie vor einer Zauberhandlung, zwei Elstern mit leuchtend weissem und erzgrünem Schimmer von den Bäumen über die Kuppel ab.

Dann hämmerten die Gewehre, und die glühenden Garben trafen sich im Schartengrund. Zuweilen griffen die Geschosse höher und schnitten den Pappeln, die im Innenhof des Werkes wachsen, die Zweige ab, oder sie rutschten, und die Einschläge stäubten auf den Beton der Mauer und spritzten in den Rhein. Andere zupften an der Trikolore, die neben dem Turme weht.

Ich sah, wie drüben das Gewehr das Feuer sogleich erwiderte, doch hörte nach einer kurzen Spanne das Stossen der von einem leichten Dampf umspielten Mündung auf. Ich hatte das vorausgesehen, denn das Dauerfeuer hält die Waffe gleich einer Zange fest, da die Bedienung nicht wagt, die währenddessen zurückzuziehen. So schlägt man sie mühelos entzwei.

Nach diesem Zwischenspiel ging ich zum Frühstück und war dann, wie jeden Sonntag, in Iffenzheim bei Dr. Eiermann, zu Hecht und Moselwein. Der Morgen war rein, klar, frisch in den Farben; auch kehrt im Feuer das Bewustsein, das sich doch stets in Teilen ausserhalb befindet, als aufmerksamer Wächter in den Körper zurück. Man fordert in der Krisis die Aussenstände ein.

Am Abend erfuhr ich, dass der pfenniggrosse Splitter, der Erichson getroffen hat, tief eingedrungen ist. Verletzungen am Hals sind immer peinlich, da sich durch diesen Teil die Lebensbahnen wie durch einen Isthmus ziehen.

Bei den Scharmützeln fühlt man sich hinter den Gewehren in der offenen Feuerstellung wohler als in den Bunkern am Feuerstand. Die winzigen Schlitze und Scharten, durch die das Auge des Verteidigers aus den festen Werken auf das Gelände späht, gleichen Magneten, die die Feuermassen des weiten Raumes auf sich ziehen. Auf diese Weise gerät die Mannschaft, wie in den Taucherglocken der Tiefsee, unter Überdruck. Die Werke sind Mammute des Widerstandes, aber vielleicht gerade deshalb vom Aussterben bedroht, weil der Gedanke der Verteidigung so rein in ihnen zum Ausdruck kommt.

(Bild: Elstern, Pica pica)

No comments: